Restorative Approaches in Inclusive School Environments
In dem vom BMBF geförderten Projekt (2018-2021) wurde ein umfangreiches Qualifizierungsprogramm zum Umgang mit Konflikten sowie mit dem sogenannten „sonderpädagogischen Förderbedarf emotionale und soziale Entwicklung“ (SPF-ESE) für Pädagoginnen und Pädagogen entwickelt und evaluiert.
Ausgangspunkt ist dabei der Restorative Practice Approach (RPA). Dieser wiederherstellende Qualifizierungs- und Schulentwicklungsansatz ist international weit verbreitet und wurde bereits erfolgreich in Schulen implementiert. Das Programm eröffnet innovative Wege, Konflikte in der Schule auf beziehungsförderliche Art zu lösen und das soziale und emotionale Miteinander von Schülerinnen und Schülern zu stärken. Es zielt auf den Kompetenzaufbau multiprofessioneller Teams im Umgang mit den emotionalen und sozialen Bedarfen aller Schülerinnen und Schüler in herausfordernden Situationen im Unterricht ab. Besonders für Schülerinnen und Schüler, die unter belasteten Lebenslagen lernen, kann die Qualifikation des pädagogischen Personals im Sinne des Restorative Practice Approach die Gefahr reduzieren, dass sie im institutionellen Kontext zusätzlich exkludierenden Praktiken ausgesetzt sind und die häufig erlebten Beziehungsabbrüche im häuslichen Umfeld auch institutionell durchlebt werden müssen.
„Restorative approaches
are about managing relationships
rather than behavior.“
(Drewery, 2013)
Die aktuelle Situation und ihre Herausforderungen
Die Auseinandersetzung mit als auffällig oder störend wahrgenommenen Verhaltensweisen stellt für Schulen im Kontext der Inklusion eine zentrale Herausforderung dar. Unterschiedliche Konflikte entstehen in einer heterogenen Schülerschaft und einem multiprofessionellen Kollegium, was zu unterschiedlichen Vorstellungen von dem Umgang und der Lösung führt.
Die Bearbeitung solcher Verhaltensweisen bindet nicht nur viel Zeit, sondern wird auch von Lehrkräften als belastend wahrgenommen. Die Bewältigung von Unterrichtsstörungen und Verhaltensauffälligkeiten stellt einen bedeutenden Stressfaktor im Schulsystem dar. Leider wird der pädagogischen Auseinandersetzung mit diesen Verhaltensweisen oft zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt, und bestehende Programme delegieren die Konfliktbearbeitung meist außerhalb des Unterrichts. Häufig lösen Lehrkräfte Konflikte, indem sie die beteiligten Schülerinnen und Schüler auffordern, ihr Verhalten zu ändern und dies nicht selten durch behavioristisch ausgerichtete Interventionsprogramme (Regelkataloge, Trainingsraum, Eskalationstreppe). Die Kinder und Jugendlichen werden so jedoch kaum in die Lösung des Konflikts einbezogen und die weiter schwelenden Konflikte belasten Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler und das Verhältnis zwischen ihnen.
Das Schlüsselkonzept:
ein beziehungsorientierter Ansatz
Hier setzt das Projekt RAISE an, das den Fokus weg von herauforderndem Verhalten einzelner Schülerinnen und Schüler hin zur beziehungsorientierten Bearbeitung von Konflikten lenkt und damit auch sozial-emotionales Lernen ermöglicht. Das Ziel besteht darin, dass alle Beteiligten lernen, die Auswirkungen ihres Handelns auf andere zu verstehen, Verantwortung zu übernehmen und durch Wiedergutmachung nachhaltig Konflikte zu reduzieren.
Dieser lösungsorientierte Ansatz schafft ein wertschätzendes Klima, das die Bedürfnisse aller Individuen berücksichtigt. Der RPA-Ansatz zielt darauf ab, keine Einzelperson für ihr Handeln zu beschämen oder zu beschuldigen. Besonders für Schülerinnen und Schüler mit erschwerten Lern- und Entwicklungsbedingungen ist dies von zentraler Bedeutung, da sie oft beschämende Erfahrungen gemacht haben, die ihrem herausfordernden Verhalten zugrunde liegen. Durch gemeinsame Arbeit werden im RPA die Gefühle und Bedürfnisse aller Beteiligten erörtert und alternative Handlungsweisen erarbeitet. Dies stärkt das Verantwortungsgefühl und die sozial-emotionalen Kompetenzen aller Konfliktparteien.
Der RPA-Ansatz zielt darauf ab, die Verantwortung für ein wertschätzendes Miteinander auf die Gemeinschaft zu übertragen und ermöglicht es den Beteiligten, frühzeitig über Gefühle und Bedürfnisse zu sprechen und Konflikte zu vermeiden oder frühzeitig zu lösen.
„The person
is not the problem;
The problem
is the problem.“
(Winslade & Williams, 2012)
Erfahrungen:
Was Pädagoginnen und Pädagogen sagen
In Analysen wurde klar, dass sich die Lehrkräfte durch das Programm gestärkt sehen. Sie erleben sich als deutlich kompetenter, mit Konflikten und verhaltensbezogenen „Störungen“ umzugehen. Sie berichteten, dass sie seltener in das Muster zurückfallen, Konflikte durch Sanktionen und potenziell ausschließende Maßnahmen einfach nur zu beenden. Es gelingt ihnen nun besser, Konflikte beziehungsbasiert und wiedergutmachend zu bearbeiten. Gleichzeitig berichteten sie jedoch auch, dass ihr neuer Umgang mit als störend wahrgenommenem Verhalten sie als Lehrkräfte in paradoxe Situationen brachte, wenn sich die Schulkultur nicht gleichzeitig mit wandelte.
stärkung der
eigenen kompetenz
Höhere Kompetenz im Umgang mit Konflikten
ausweg aus der
problemtrance
Selteneres Zurückfallen in das Muster, Konflikte durch Sanktionen zu beenden
lernen neuer
Verhaltensweisen
Beziehungsorientierte & wiedergutmachende Bearbeitung von Konflikten
Stimmen
Teilnehmende über RAISE
Ein Praxisbeispiel: der „Restorative Chat“
Im Rahmen der Qualifizierung wurden umfangreiche Materialien entwickelt, um Pädagoginnen und Pädagogen dabei zu unterstützen, den RPA-Ansatz kennenzulernen und erfolgreich in ihrem Unterricht anzuwenden. Der Restorative Chat ist eine dreistufige Methode, bei der zuerst die Konfliktsituation beschrieben wird, die emotionalen Auswirkungen reflektiert werden und schließlich Lösungsansätze für die Zukunft gefunden werden. Lehrkräfte können dabei helfen, Empathie zu entwickeln und Wiedergutmachung anzubieten. Der Restorative Chat kann auch in informellen Gesprächen mit Schülerinnen und Schülern effektiv angewendet werden. Die Nutzung von Chart-Karten mit Beispielfragen erleichtert den Kommunikationsprozess. Pädagoginnen und Pädagogen haben durch den RPA auch die Möglichkeit, ihre eigenen Emotionen in Konfliktsituationen im Blick zu behalten und eine vermittelnde Rolle einzunehmen, anstatt in eher bestrafende Verhaltensmuster zu verfallen.
1 | Beschreibung |
Was ist passiert? |
2 | Reflexion |
Was hast du gedacht? | |
Wie hast du dich gefühlt? | |
Wie hat sich wohl der andere gefühlt? |
3 | Lösungsansätze |
Was muss passieren, damit alles wieder in Ordnung | |
Was wirst du/werden wir nächstes Mal anders machen? |
Angebot für Schulen
Seit 2022 steht aufbauend auf den Erfahrungen und den gesammelten Ergebnissen aus dem Projekt ein umfassendes Fortbildungskonzept zur Implementation des „Restorative Practive Approach“ zur Verfügung. Nehmen Sie gerne mit uns Kontakt auf!
Der Theorieband
Badstieber, B., & Amrhein, B. (Hrsg.). (2022). (Un-)mögliche Perspektiven auf herausforderndes Verhalten in der Schule. Theoretische, empirische und praktische Beiträge zur De- und Rekonstruktion des Förderschwerpunkts Emotionale und Soziale Entwicklung. Beltz Juventa.
Der Praxisband
Amrhein, B., Badstieber, B. & Weber, C. (in Druck). Konflikten in Schule und Unterricht begegnen. Neue Wege zur Gestaltung schulischer Inklusion im Förderschwerpunkt Emotionale und Soziale Entwicklung. Beltz.
Unser Angebot
Qualifizierung
Raus aus der Problemtrance und den Verhaltensfallen durch eine neuartige, qualifizierende Unterstützungsstruktur zur nachhaltigen Bearbeitung von herausforderndem Verhalten und Konflikten in Bildungsinstitutionen.
Lernendes Netzwerk
Ein lernendes Netzwerk als kontinuierlich wachsende Partnerschaft zwischen Wissenschaft und Praxis. Es eröffnet zahlreiche Angebote zur nachhaltigen Unterstützung der Bearbeitung von herausforderndem Verhalten und Konflikten in Bildungsinstitutionen.